Am 02.05.2022 lud der ADFC zum ersten Radverkehrsforum in Eberswalde ein. Vertreter*innen von Stadt und Landkreis, der Polizei und viele interessierte Bürger*innen diskutierten über Verkehrspolitik in der Barnimer Kreisstadt.

Vertreter der Institutionen stellten ihre Ideen und Konzepte für einen radfahrer-und fußgängerfreundlicheren Verkehr in Eberswalde vor. Ganz besonders begeistert hat viele Teilnehmende der Beitrag von Juli Voss von der Ortsgruppe Barnim von Fridays for Future. Juli beschreibt darin ziemlich exakt, was viele Radfahrende auf ihren Wegen durch die Stadt nachempfinden können. Spannend war auf diese Art die Sichtweise eines jungen Menschen zu erfahren, wie ein gutes Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden gelingen kann.

Die Grüne Welle freut sich, diesen Beitrag hier veröffentlichen zu können.

© Screenshot moz.de, Foto: Christian Wapler

Wege durch Eberswalde

von Juli Voss, Fridays for Future, Ortsgruppe Barnim

Ich steige an einem normalen Wochentag im Eberswalder Bahnhof aus dem
Zug. Auf dem Weg durch den Tunnel überlege ich, wo nochmal mein Fahrrad
steht, unter der Brücke oder im Fahrradparkhaus? Beide Plätze nutze ich gerne
weil das Rad trocken steht und man es gut anschließen kann. Diesmal habe ich
mich für die Brücke entschieden, erinnere ich mich, schwinge mich kurze Zeit
später auf meinen Drahtesel und fahre auf die Eisenbahnstraße in Richtung
Markt, mein Weg nach Hause. Die Ampel an der Ecke mit dem Testzentrum ist
rot, also zumindest für Autos und Fahrräder, die Fußgänger*innen-Ampel ist grün. Ein Phänomen, bei dem ich inzwischen aufgegeben habe, nach dem Warum zu fragen, in mir tobt nur jedes Mal wieder der Kampf: fahren oder nicht fahren? Nach der Ampel, ab dem Moment oben auf der Kuppe, macht Fahrrad fahren Spaß: wenn die Ampeln mitspielen, keine Fußgänger*innen auf dem Fahrradweg laufen, keine Fahrrad-Falschfahrer*innen entgegen kommen und kein Glas auf der Strecke liegt, muss ich bis zur Schuppentür bei mir zu Hause nicht mehr treten!!

Aber sind wir ehrlich: an einem normalen Wochentag kommtes selten vor, dass diese Voraussetzungen alle gegeben sind…

Am selben oder einem anderen beliebigen Wochentag mache ich mich mit dem
Fahrrad auf in die Boulderhalle im Rofin-Park und danach ins BV (Brandenburgisches Viertel, d. Red.) zu Freund*innen. Auf dem Hinweg entscheide ich mich für den Treidelweg, denn die Eisenbahnstraße ist in diese Richtung nicht schön zu fahren. Vor dem Bahnhof sind viele Ausfahrten aus Hinterhöfen, die schlecht einsehbar sind und aus denen die Autos teilweise direkt bis an die Straßenkante herausgeschossen kommen, keine Rücksicht auf den Fahrradweg nehmend. Einmal ist nach einer solchen Aktion auf mein Kopfschütteln hin ein wütender Autofahrer extra ausgestiegen um zu brüllen: “fahr doch hinten rum!!”. Und ich hatte keine andere Wahl als hinten um seinen langen, stinkenden Pick-Up zu fahren, da ab Straßenkante der Fahrrad- und der Gehweg blockiert waren.
Hinter dem Bahnhof ist der Fahrradweg vorhanden, viel mehr Gutes kann man
über die Abschnitte, die nicht auf der instandgehaltenen Autofahrbahn liegen,
nicht sagen. Schlaglöcher, längs gelegte Pflastersteine, im Weg stehende
Laternen oder Oberleitungsmasten und die nur 1,5 fache Fahrradbreite, die
Überholen zu einem Wagnis machen, tun ihr übriges mich den Treidelweg
bevorzugen zu lassen. Also gönne ich mir 20 Minuten im Grünen und freue
mich, entspannt anzukommen.

Auf dem Weg von der Boulderhalle ins BV düse ich auf der Straße den Berg
herunter, bleibe auf der Fahrbahn und fahre geradeaus über die Kreuzung.
Drüben bleibe ich auf der Straße und biege bei der ersten Gelegenheit rechts
Richtung der Blocks ab. Dabei quere ich einen auf der Straße rot markierten
Fahrradweg, der vorher überhaupt nicht als solcher zu erkennen war. Da frage
ich mich, wie das eigentlich gedacht ist, den kurzen Weg von der Halle bis
hierher hatte ich das Gefühl, dass bei der Planung der Wege nicht über Fahrräder
nachgedacht wurde und ich einfach auf mich selbst gestellt bin, zum Glück hat
heute niemand hinter mir gedrängelt auf der Straße. Aber offenbar gibt es einen
Plan, den ich einfach nicht erkenne.

Es ist dunkel als ich mich auf den Heimweg mache, also doch lieber
Eisenbahnstraße fahren, da ist es beleuchtet. Was soll ich sagen, Schlaglöcher
hat der Fahrradweg hier auch und zu schmal ist er auch. Aber kurz nach dem
Sportzentrum am Westend kann man ja auf die Straße fahren, da ist das besser.
Und zu dieser Uhrzeit sind nur wenige Autos unterwegs, so dass ich mich auch
auf der Straße sicher fühle. Kurz vor der Gleisbrücke endet der markierte
Fahrradweg auf der Straße plötzlich, aber da auch auf dem Bürgersteig nichts
ersichtlich ist und dieser zudem uneben gepflastert ist, bleibe ich auf der Straße.
Ein paar hundert Meter weiter schaltet vor mir die Ampel auf rot, ich werde
langsamer und hinter mir wird kräftig gehupt. Ich schaue mich kopfschüttelnd
um, ernte erneutes Hupen und eine Geste, die mir bedeutet, nach rechts zu
gehen. Und wirklich, rechts neben mir ist ein roter Fahrradweg aufgetaucht!
Schade nur, dass die Bordsteinkante zu hoch ist um von der Straße darauf zu
fahren. Auf ein neues Hupen hin steige ich ab und räume die Straße, indem ich
mein Fahrrad auf den Fahrradweg hebe. Den Rest des Weges passiere ich ohne
weitere Zwischenfälle.

Ich bin in Münster geboren und aufgewachsen, ich fahre Fahrrad, seit ich
denken kann und finde das ganz normal. Man braucht in Münster im Alltag kein
Auto und in Eberswalde auch nicht, ein riesiger Luxus! Und trotzdem habe ich
das Gefühl, in Münster lieber mit dem Fahrrad zu fahren als hier. Woran liegt
das? Weil die Fahrradwege sind auch in Münster bei Weitem nicht überall top!
Schlaglöcher sind sicher nicht der Grund!!

Die Antwort, die ich darauf gefunden habe, ist die, dass es in Münster viel
selbstverständlicher ist, Fahrrad zu fahren. Das ist kein Öko- oder Studi-Ding,
das machen alle. Man sieht dreijährige Kinder und Menschen in Anzug
gleichermaßen wie Helmträgerinnen und Rennräder. Und bei jeder Stadtplanungsentscheidung wird mit einbezogen, dass Fahrräder in beide Richtungen passieren können müssen und es, entsprechend gekennzeichnete, Abstellflächen geben muss. Und die Autofahrerinnen sind es gewohnt, Fahrradfahrende als gleichwertige
Verkehrsteilnehmer*innen zu achten. Das Kima zwischen den
Verkehrsteilnehmenden ist entspannter, weil man auf dem Fahrrad nur selten
darum bangen muss, ob einem die Vorfahrt gewährt wird oder doch das Recht
des Stärkeren herrscht.

Wenn ich also gefragt werde, wo ich in Eberswalde die Stellschrauben für
Verbesserung sehe, dann geht es natürlich darum, Radwege zu sanieren oder neu anzulegen. Dann geht es natürlich darum, Radfahrende immer mit einzuplanen,
wenn infrastrukturelle Stadtplanung gemacht wird, und gute, funktionale
Lösungen zu finden.
Aber ich würde sagen, es geht vor allem und als erstes darum, Radfahren
salonfähig zu machen, für alle. Nicht nur für Kinder, Studis und Ökos, die von
einem Teil der Stadtbevölkerung dafür belächelt bis gehasst werden, sondern
wirklich für alle. Und klar zu machen, dass Radfahrende gleichberechtigte
Verkehrsteilnehmer*innen sind, denen man nicht einfach mal die Vorfahrt
nehmen kann.
Ich denke, mit guter, ansprechender Öffentlichkeitsarbeit wäre es möglich, ein
Klima des gleichberechtigteren Miteinanders und einer Selbstverständlichkeit zu
schaffen, die es insgesamt sicherer und attraktiver machen würde, in Eberswalde
Rad zu fahren.

Juli Voss (er/ihn), Fridays for Future Barnim